Multimedia in der Schule:
Kommt bald der digitale Lehrer

Aus dem "Brueckenbauer" Nr. 25 vom 19.Juni 1996

Multimedia ist in den meisten Schweizerschule noch ein Fremwort. Davon priofitieren private, kommerzielle Institutionen wie Future Kids.

In Australien rief ein Mann ein Taxiunternehmen an.» So beginnt eines der Diktate desThurgauer Lehrers Hanspeter Füllemann. Die 15jährige Alexandra schreibt mit. Sie istdie einzige. Die anderen Schüler arbeiten an anderen Aufgaben. Alexandra hat keineStrafaufgabe gefasst: Sie sitzt konzentriert vor einem Bildschirm, Lehrer Füllemanns Stimme hört sie per Kopfhörer.

Der Computer nimmt dem Lehrer nicht nur das Diktieren ab, sondern auch die Korrekturarbeit: Ist das Diktat beendet, klickt Alexandra mit der Maus auf «Auswerten», wenige Augenblicke später weiss sie, was sie falsch gemacht hat und kann Korrekturen anbringen. «Mir gefällt diese Art von Arbeit - ich kann den Satz hören, so oft ich will und brauche den Lehrer nicht zu langweilen.»

Das Diktat ist nicht das einzige Beispiel für den Einsatz von modernen Multimediacomputern im Klassenzimmer: Auch die Schülerzeitung «Realität» wird am Computer gestaltet. Die Fotos dieser Zeitung stammen aus einer handelsüblichen, digitalen Kamera. Das Entwickeln des Films fällt weg, und die Produktion kommt billiger. Die Schülerzeitung ist ihrer Zeit voraus: Im Profi-Bereich sind die digitalen Kameras noch nicht üblich.

Eine eigene Homepage

Zum Alltag gehört für die Realklasse auch der Umgang mit dem Internet: Die Klasse hat im Internet eine eigene Homepage eingerichtet. Dort ist zu lesen: «Unsere Klasse besteht aus 21 Schülern. Die Hälfte davon sind Ausländer. Klickt auf unsere Namen und entdeckt, wer dahintersteckt.» So findet man auch Alexandra wieder, die sich dort selber vorstellt: «Ich gehe echt gerne auf Raves. Zu Hause haben wir einen Computer, sind aber noch nicht ans Internet angeschlossen.»

Natürlich hat die Klasse auch ein elektronisches Postfach, das regelmässig geleert werden muss. Reto besorgt diese Aufgabe gegenwärtig. Vor allem der Kontakt mit einer Partnerklasse in den USA begeistert die Realschüler. Seitdem sie per Internet korrespondieren, sind die Frauenfelder bestens über Kathy Neumeier und ihre Klasse an der White Fisch Bay im US-Bundesstaat Wisconsin auf dem laufenden, sie wissen Bescheid über die Hamburgerpreise bei McDonald's, über die Hobbys ihrer Altersgenossen (Wasserski fahren!), über Wichtiges und Alltägliches. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass viele ihrer amerikanischen Kolleginnen und Kollegen mit dem Auto zur Schule fahren.

Der Reallehrer Hanspeter Füllemann ist kein Informatik-Freak: «Der Computer ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel.» Deshalb ist es auch wichtig, dass die Geräte im Klassenzimmer stehen. m Kanton Thurgau ist dies möglich. Schon im angrenzenden Kanton Zürich ist es anders: Dort hat jedes Oberstufenschulhaus ein eigenes Informatikzimmer. Der Grund ist einfach: Diese Lösung ist billiger. Die Schüler können nicht kommen und gehen, wann sie wollen, sondern müssen sich an einen genauen Stundenplan halten.

Kein starrer Stundenplan

Hanspeter Füllemanns Klasse ist flexibler. Kommt dazu, dass der Lehrer nach Wochenplan unterrichtet: Der starre Stundenplan ist abgeschafft, statt dessen arbeitet der Lehrer für jede Woche eine Liste mit Zielen aus, die er mit seiner Klasse erreichen will. «Punkto Computer und Multimedia sind noch viele Lehrer zurückhaltend. Einige haben auch Angst davor», urteilt etwa der Medienpädagoge Heinz Moser, der auch schon in Fachzeitungen über die Projekte des Frauenfelder Lehrers geschrieben hat.

«Was Hanspeter Füllemann macht, ist wegweisend», sagt Heinz Moser. Ansonsten findet er wenig lobende Worte für den Stand der Schweizer Pädagogik: «Computer und Multimedia spielen nur in der Oberstufe, also für die 12- bis 16jährigen eine Rolle. Zu viele Lehrer verwechseln den Computereinsatz in der Schule mit trockenem Informatikunterricht» kritisiert Medienpädagoge Moser.

Nur Oberstufe

Multimedia und Computer faszinieren aber auch wesentlich jüngere Kinder. Und bereits gibt es private Institutionen, die in diesem Bereich tätig sind. Davon zeugt das Interesse für Computercamps, die auch bei uns seit Jahren durchgeführt werden. Und Computerkurse für Kinder sollen nun auch im grauen Alltag Einzug halten. Das zeigt ein Blick nach Genf: Von dort aus hat die amerikanische Firma «Futurekids» begonnen, den Schweizer Markt aufzurollen.

Die Idee von «Futurekids»: Computerkurse für Kinder von vier bis 16 Jahren. Drei solcher Zentren gibt es heute in Genf und Lausanne. Pierre Sikiaridis, «Futurekids»-Vertreter für die Schweiz und Frankreich, plant auch den Sprung über die Saane und sucht nach Geschäftsführern für Zürich, Bern, Basel und St.Gallen.

Die Geschäftsführer dieser Lernzentren investieren eigenes Kapital und arbeiten auf eigenes Risiko. Sie erhalten aber Unterstützung und Lehrpläne. Dafür ist eine saftige Lizenzgebühr fällig. «Franchising» heisst das Fachwort dafür. Das Rezept funktioniert: Weltweit gibt es über 700 Lizenznehmer, die rund 1400 Zentren führen. Zu den Kunden gehören auch Schulen, die den gesamten Computerunterricht an «Futurekids» delegieren.

Erfolg bei den Kleinen

Das Konzept kommt an, gerade auch bei den ganz Kleinen: Die Vier- bis Sechsjährigen bilden die zweitgrösste Benützergruppe, erklärt uns der Schweizer «Futurekids»-Chef Pierre Sikiaridis. In einem seiner beiden Genfer Zentren schauen wir dem Lehrer Jean Droux über die Schultern. Die beiden Schüler Noéli und Alexandre sind knapp vierjährig und haben eben den Bildschirm mit farbigen Symbolen und Klötzen gefüllt: «Jetzt zeigst du dem Alexandre, wie man die Sache druckt», sagt Lehrer Droux. Vorsichtig ruckelt Noéli an der Maus, klickt einmal kurz, und schon beginnt der Drucker zu schnurren. Schüler und Lehrer strahlen.

Grundidee von «Futurekids»: Jedes Semester ein neues Projekt, ein Thema, um das sich alles dreht. Im Moment heisst es «Futurekids City»: Mit Hilfe des Simulationsprogramms «SimCity» entwickeln die Schüler eine Stadt. Computergrafiken, welche die Schüler selber erstellen, dokumentieren das Wachstum dieser Stadt.

In einer nächsten Stufe geht es darum, Touristen anzuziehen. Dafür muss ein Prospekt entworfen werden - natürlich mit dem Computer. Die Begeisterung ist gross. Deshalb setzt der Schweizer «Futurekids»-Chef Pierre Sikiaridis in der Werbung auch auf Mundpropaganda.

Billig sind diese Kinderkurse nicht: Rund 120 Franken müssen die Eltern pro Monat hinblättern, der ganze Kurs dauert ein Jahr und kostet damit gegen 1500 Franken pro Kind. Das ist viel Geld. Aber, so meint die Zürcher Pädagogin Christine Witschi: «Wenn es um die Ausbildung ihrer Kinder geht, ist die Opferbereitschaft der Eltern aus dem Mittelstand sehr gross».

Noch tut sich in den Schweizer Schulen in Sachen Multimedia wenig. Davon profitieren kommerzielle Projekte wie «Futurekids»


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