Die Schule will ans Internet

 
Bild Dominik Landwehr 
Sie glänzen mit einer eigenen Zeitung im Netz: 
Die Sekundarschüler aus Aadorf. 
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Immer mehr Schulen suchen den Anschluss ans weltweite Computernetz.  Was steckt dahinter: der Zeitgeist oder eine gesellschaftliche Umwälzung?

Die 14jährige Sekundarschülerin Manuela Höhener aus dem thurgauischen Aadorf hat ein kleines Problem. Ihre heissgeliebten Idole, die rührseligen Musiker der Kelly Family, sind für sie plötzlich Schnee von gestern. Die Band gefällt ihr nicht mehr. Manuela steht neuerdings mehr auf die rotzfreche Girlgruppe «TicTacToe».

Die Weiterentwicklung ihres Musikgeschmacks soll auch im Internet dokumentiert werden. Die Schülerin kommt deshalb mit einem klaren Ziel in die Informatiklektion vom Dienstagnachmittag: Sie will den Namen der neuen Idole auf ihre Homepage übertragen.

Berührungsängste gegenüber dem Internet kennen die Teenager aus Aadorf - sowohl Buben als auch Mädchen - nicht, und Fachwörter wie «Homepage», «Browser», «Scanner» oder «E-Mail» sind für sie längst eine Selbstverständlichkeit.

Besonders fasziniert sind die Schüler von den Kommunikationsmöglichkeiten. Im Frühjahr hat die Klasse an einem europäischen Projekt zur Beobachtung von Pflanzen, Zugvögeln und Schmetterlingen teilgenommen, und kürzlich hat man Kontakt mit einer Schulklasse in Peru geknüpft. Die Zustände dort seien «katastrophig», haben Sergio und René aus dem fernen Lima mitgeteilt, und nun wartet man im thurgauischen Aadorf gespannt darauf, was damit wohl gemeint war.

Die Begeisterung der Schüler ist gross, auch wenn viele noch keine klare Vorstellung haben, was sich mit dem Internet genau machen lässt. Trotzdem ist Lehrer Somm nicht zufrieden: «Unsere Aktivitäten sind eher zufällig. Für einen systematischeren Unterricht fehlen Zeit und mindestens vorläufig noch die Mittel.» Die Ausrüstung ist tatsächlich bescheiden: Es kann jeweils nur ein PC aufs Internet zugreifen.

Szenenwechsel: Nur wenig von Aadorf entfernt liegt Weisslingen, eingebettet in den Hügeln des Tösstals. Im Oberstufenschulhaus sind Computertechniker eben dabei, der neuen Ausrüstung im Informatikzimmer den letzten Schliff zu verpassen. Das Schulhaus erhält eine total neue Anlage. Die alten Computer werden in den Schulzimmern weiter verwendet. Alles ist untereinander vernetzt - inskünftig wird jede Klasse rund um die Uhr Zugriff aufs Internet haben.

120000 Franken hat die Schulgemeinde für die Neuinvestition aufgewendet. Dazu haben Sponsoren einen Teil der Ausrüstung und Anschlussgebühren übernommen.

«Wir haben vom Netzboom profitieren können», sagt Informatiklehrer Werner Hegner und fügt bei: «Diese Einrichtung wird nicht nur fürs Internet, sondern auch für den Informatik- und sogar für den Sprachunterricht benutzt.» Das Sprachlabor hat ausgedient und wird durch Multimediacomputer abgelöst.

Der Glücksfall Weisslingen hat einen Namen: Wesentlich mitverantwortlich ist der umtriebige Schulpflegepräsident Andreas Rümmeli. Er ist selber ein Internet-Fan und beruflich Netzwerkspezialist bei Sunrise (Newtelco), einer Firma, die er auch als Sponsor gewinnen konnte.

Netzzugang ist Ausnahme

Mittel- und Berufsschulen haben in der Regel Zugang zum Internet, anders sieht es bei denVolksschulen aus. Der Zugang zum Netz ist hier noch eher eine Ausnahme. Dies zeigt eine Umfrage des Arbeitgeberverbandes von diesem Sommer. Das Interesse von Schülern und Lehrern ist riesig. Das spürt man zum Beispiel beim Zürcher Pestalozzianum. Diese staatlich subventionierte Institution ist auf die Fortbildung von Lehrern spezialisiert und geniesst als Schrittmacherin in der ganzen Schweiz einen ausgezeichneten Ruf: «Für einige Internet-Einführungskurse sind zehnmal soviel Anmeldungen eingegangen als Kursplätze zur Verfügung stehen», stellt Informatikspezialist Jean-Pierre Schawalder fest. Die Volksschulen, so führt er aus, waren bisher gegenüber der Einführung der neuen Technologie eher zurückhaltend.

Schuld daran hätten aber nicht in erster Linie die Lehrer, sondern die Angst vor unkalkulierbaren Telefonkosten. Dieses Hindernis sollte aus dem Weg geräumt sein, seitdem die Telecom zusammen mit der Schweizerischen Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen (SFIB) ein günstiges Einsteigerpaket für Schulen anbietet.

Kein gutes Zeugnis

Der Netzwerkspezialist Peter Heinzmann, Professor am Technikum Rapperswil und Leiter des dortigen Netzwerklabors «cnlab», beschäftigt sich seit den frühen neunziger Jahren mit dem Internet und dessen Möglichkeiten im Unterricht. Heinzmann stellt den Schweizer Schulen kein besonders gutes Zeugnis aus: «Viele Lehrer sind verunsichert», sagt Peter Heinzmann im Gespräch. Sie glaubten zudem, das neue Medium müsse zuerst in Institutionen und Lehrpläne eingebunden werden.

In Sachen Institutionalisierung sieht der Netzwerkspezialist etwas sehr Schweizerisches, das den Fortschritt eher hemmt: «Es braucht nicht in erster Linie neue Lehrmittel und -pläne, sondern erfahrene, offene Lehrerpersönlichkeiten, die bereit sind, Neues von sich aus in den Unterricht zu integrieren».

Anregungen, so meint er, finden sich im Netz in Hülle und Fülle. Auch auf die Frage, ob es denn das Internet an der Schule wirklich brauche, hat er eine Antwort: «Das Internet ist eine Realität, mit der man sich auseinandersetzen muss». Er vergleicht die heutige Situation mit der Einführung des Taschenrechners, die seinerseits auch auf viel Skepsis gestossen ist: «Auch diese Neuerung kam über Nacht und ist heute in jeder Schultasche.»

Dominik Landwehr

Literatur:

Lesen Sie auch «Kinder im Visier».

Links zum Thema unter:

http://www.brueckenbauer.ch/LANDWEHR/kidlinks.htm 


Vom 20. bis 25.Oktober findet in der Schweiz eine Aktionswoche unter dem Titel «Netdays '97» statt. Ziel ist es, die Bevölkerung auf die Bedeutung des Internets an den Schulen aufmerksam zu machen. Hinter der Aktionswoche steht die Schweizerische Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen (SFIB), die vor kurzem auch die Offensive «Lernen ohne Grenzen - Schulen ans Netz» gestartet hat.

Programme zu den Netdays '97 gibt es direkt bei der SFIB, Erlachstrasse 21, 3000 Bern 9;
via Hotline 031 301 08 34 (Mo bis Fr, 10 bis 12 Uhr) oder via Internet.


Wozu Internet?

Jean-Pierre Schawalder vom Zürcher Pestalozzianum sieht verschiedene Gebiete, in denen sich das Internet in der Schule gewinnbringend einsetzen lässt:

zum schnellen und grenzenlosen Austausch von Briefen via E-Mail. Das lässt sich zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht für Briefpartnerschaften zwischen Schulklassen nutzen;

zum Recherchieren: Das Internet ist eine Riesenbibliothek, die 24 Stunden pro Tag verfügbar ist;

zum Publizieren: Eine Schülerzeitung lässt sich mit wenig Aufwand herstellen und international verbreiten.

Dominik  Landwehr
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