Manchmal ist der Stress auch für die Helfer zu gross: IKRK entwickelt Anti-Stress Programm:(Post Traumatic Stress Disorder PTSD)Von Dominik LandwehrRuanda, Somalia, Ex-Jugoslawien - das sind drei Konflikte der Gegenwart, die durch unwahrscheinliche Brutalität und Missachtung sämtlicher völkerrechtlichen Normen gekennzeichnet sind. Das bekommen auch die Helfer zu spüren - zum Beispiel die Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) oder die UNO-Soldaten. Die ständige Konfrontation mit der Gewalt hinterläss auch bei ihnen Spuren. Das IKRK hat seit rund zwei Jahren einen Psychiater eingesetzt, der sich um die psychischen Belastungen seiner Mitarbeiter kümmert. Die Resultate dieser Arbeit stossen im In- und Ausland auf grosses Interesse. Die Symptome, die im untenstehenden Artikel beschrieben sind, werden mit dem Fachbegriff "Post Traumatic Stress Disorder" PTSD umschrieben. Der Arzt und Psychiater Barthold Bierens de Haan arbeitet in einem winzigen Büro am Genfer IKRK Hauptsitz. Seine Stimme ist leise, seine väterliche Art verrät, dass er gut zuhören kann. Er erzählt uns von zwei Beispielen aus seiner Arbeit: Eine junge Frau, die als Delegierte im ehemaligen Jugoslawien gearbeitet hat, konnte nach ihrer Rückkehr in die Schweiz nicht mehr schlafen. Sie hat Herzklopfen und hört nachts Geräusche. Ein Ohrenarzt findet keine organischen Ursachen. Im Gespräch finden sich schliesslich die wahren Ursachen: Die Delegierte war in einem Auto, das beschossen wurde. Sie flüchtete zu Fuss und brach sich dabei den Knöchel. Im Spital - immer noch im ehemaligen Jugoslawien - hörte sie nachts immer Flugzeuge und fürchtete, dass diese das Spital bombardieren würden. Das war die Ursache ihrer Schlaflosigkeit und der Geräusche. Beide verschwanden nach einigen weiteren Sitzungen. In einem weiteren Beispiel erlebt ein IKRK-Mitarbeiter jedesmal wenn er eine Tomatenbüchse öffnete, Angstanfälle. Im Gespräch zeigt sich, dass das Symptom auf einen schweren Zwischenfall in einem afrikanischen Land zurückging, bei dem ein lokaler IKRK-Mitarbeiter getötet und ein Delegierter verletzt wurde. Für die Probleme der beiden IKRK Delegierten gibt es ein Wort: sie leiden unter einem posttraumatischen Stress Syndrom (siehe Kasten) - eine relativ neue Diagnose. Von der Stress-Analyse zum Stress-Management Noch 1990 konnte IKRK Präsident Cornelio Sommaruga in einem Interview mit der SonntagsZeitung sagen: "Die Interessen der Opfer sind wichtiger als die Sicherheit der Delegierten." Eine solche Aussage würde heute am IKRK Hauptsitz niemand mehr machen. Die zunehmenden Belastungen, denen die Delegierten in den letzten Jahren ausgesetzt sind, macht in der Direktionsetage am Genfer Hauptsitz Sorgen: Der Psychiater Bierens de Haan:"Bei meinen Besuchen im Feld, vorab im ehemaligen Jugoslawien, kamen meine Kolleginnen und Kollegen immer sehr schnell auf ihre persönlichen Schwierigkeiten zu sprechen. Viele waren deprimiert, empfanden eine generelle Wut, klagten über Schlafstörungen". Bierens de Haan erhielt im September 1992 den Auftrag, sich systematisch um diese Fragen zu kümmern. Im Lauf der letzten zwei Jahren entstand ein eigentliches Anti-Stress Konzept. Die Arbeit begann mit einer Analyse. Der Psychiater unterscheidet drei verschiedene Arten von Stress, die im Feld wirksam sind die Arbeit beeinflussen
Aus dieser Analyse entstand ein ein IKRK eigens Rezept zum Umgang mit diesem Stress. Auch dieses Rezept hat wieder drei Säulen: Erstens: Information und Ausbildung. Die neuen Delegierten werden besser vorbereitet auf das, was sie im Feld erwartet. Zweitens: Sie erhalten im Feld mehr Unterstützung. Das bedeutet zum Beispiel, dass man den Delegationsleitern in eigenen Kursen beibringt, wie sie mit dem Stress und den extremen Belastungen ihrer Mitarbeiter umgehen müssen. Diese Unterstützung hört auch bei der Rückkehr in die Schweiz nicht auf: Jeder, der eine belastende Mission hinter sich hat, kommt zum Psychiater und Arzt Bierens de Haan oder zu seinen Mitarbeiterinnen. Dort wird abgeklärt, ob weitere Schritte nötig sind oder nicht. Administrative Massnahmen bilden den letzten Punkt. Dazu gehört die Regelung der Ruhezeiten. Jeder, der eine belastende Mission hinter sich hat, erhält drei zusätzliche Ferienwochen. Zudem wird sorgfältig darauf geachtet, dass sich belastende Missionen nicht unmittelbar folgen. Ruhe und Ferien sind aber kein universales Heilmittel. Zur Verarbeitung belastender Erlebnisse braucht es wohl Ruhe. Wichtig ist aber, dass der Betroffene im gleichen Kontext bleiben kann - denn zuhause in der Schweiz findet er weniger kompetente Gesprächspartner als im Feld. Ausbildungsvideo und praktische Uebungen Es gibt auch Stress, der sich vermeiden lässt - besondere Aufmerksamkeit kommt deshalb den Fragen rund um die Sicherheit zu. Auch hier hat das IKRK einen Spezialisten eingesetzt, der sich nur um diese Fragen kümmert. Es ist der ehemalige Personalchef des IKRK Philippe Dind. Auch er kommt gleich zur Sache und zeigt einen Ausbildungsvideo, der den neuen Delegierten gezeigt wird. Der Film wurde im ehemaligen Jugoslawien gedreht, die Szenen sind gestellt und trotzdem lassen sie einem das Blut in den Adern stocken: IKRK Autos fahren im Konvoi - aus der Ferne hört man Artilleriefeuer. Trotz Kälte müssen die Fenster geöffnet werden, damit diese Geräusche besser zu hören sind. Das Feuer kommt näher. Der Chef befiehlt seinen Leuten auszusteigen und sich neben das Auto zu legen, die Hände gefaltet über den Kopf. Dann schlägt einige Meter weiter das erste Geschoss ein. Dazu eine Stimme: Suche nie unter dem Auto Schutz - denn es könnte getroffen werden. Lege Dich nicht in den Strassengraben - dort können Minen verborgen sein". Es folgen weitere Szenen, die dem Verhalten an Checkpoints, der Gefahr durch Scharfschützen und Minen gewidmet sind. Zwei Tage lang dauert ein spezielles Sicherheitstraining, das alle neuen
IKRK Delegierten absolvieren müssen. Dort lernt man solche Verhaltensweisen,
aber dort lernt man noch etwas Wichtigeres: "Man muss zu seiner Angst
stehen", erklärt Philippe Dind . Er selber habe auch heute noch
vor jeder Feldmision Angst. Philippe Dind hat ein mehrstufiges Sicherheitskonzept.
Dazu gehört die psychologische Vorbereitung, die technische Ausbildung
und schliesslich Massnahmen im Feld: in manchen Fällen müssen
zum eigenen Schutz Sandsäcke aufgestellt werden, oft ist es nötig,
Büros und Wohnungen der Mitarbeiter an getrennten Orten einzurichten
und die Fahrzeuge nicht unmittelbar davor zu parkieren. Ein letzter Punkt betrifft die Rekrutierung des Personals:"Natürlich suchen wir belastbare Persönlichkeiten", räumt Bierens de Haan ein. Die Kontrolle der eigenen Emotionen ist wichtig.. Aber das Wichtigste ist nach wie vor die Motivation". Und eher überraschend das Eingeständnis:"Wir stellen immer wieder fest, dass auch sensible Personen ausgzeichnete Mitarbeiter abgeben". Ermutigende Resultate Was hat das Ganze gebracht? Der Psychiater und Arzt Barthold Bierens
de Haan hat bisher über l00 persönliche Gespräche geführt.
Mehr als ein Drittel der Betroffenen hat einschneidende, traumatische
Erlebnisse gehabt, die nun verarbeitet sind. 85% davon konnte nach einigen
Wochen eine neue Mission antreten. Interesse für die Erfahrungen des IKRK zeigt man auch bei der Schweizer Armee: Die Fachzeitschrift "Der Militärspychiater" druckt einen langen Aufsatz des IKRK Psychiaters Barthold Bierens de Haan. Kasten 1 In Extremsituationen ist auch die Seele überfordert Wenn Körper und Seele überfordert sind entsteht Stress. Das gilt besonders für Extremsituation und dazu gehört unter anderem der Krieg. Angst und Schreckensreaktionen im Zusammenhang mit Kriegen sind schon in der Antike gut dokumentiert. Die Angst hat oft körperliche Auswirkungen :Der römische Geschichtschreiber Plutarch berichtet über plötzliche Taubstummheit von Soldaten. Russische Psychiater dokumentierten diese Erscheinung 1905 erstmals im russich-japanischen Krieg. Im ersten Weltkrieg finden sich Berichte von spontan auftretenden Lähmungen als Schocksymptome. Die ersten systematischen Studien über psychische Reaktionen des Krieges entstanden im 2.Weltkrieg und danach. Am ausführlichsten dokumentiert sind die psychischen Auswirkungen der Soldaten im Vietnamkrieg. Gestützt auf diese Erfahrungen wurde in den Achtziger Jahren ein eigener Begriff eingeführt - man spricht vom posttraumatischen Stress Syndrom (PTSD 'post traumatic stress disorder'). Der Begriff ist im Diagnosehandbuch der amerikanischen Psychiatriegesellschaft festgehalten und in international verbindlicher Standard. Das PTSD wird durch folgende Kriterien definiert:
Man geht heute davon aus, dass 20% der Soldaten, die in Kampfhandlungen verwickelt sind, früher oder später Ueberforderungsreaktionen zeigen. Richtig behandelt entwickelt sich dabei nur bei ganz wenigen ein PTSD und die meisten können nach kurzer Zeit wieder in ihre Verbände zurück. Psychische Ueberforderungsreaktionen sind auch für die Schweizer Armee ein Thema. Sie sind im Reglement über die Kriegs- und Katastrophenpsychiatrie beschrieben, dort finden sich auch die Grundlagen für die Behandlungen. Die Schweizer Armee befolgt in der Behandlung von solchen Reaktionen fünf Grundsätze:
Die Prinzipien der Schweizer Armee entsprechen weitgehend dem Behandlungsmodell des IKRK. Quellen: American Psychiatric Association: Diagonistic and Statistical Manual of Mental Disorders. (DSM-III-R ) Washington 1988. Schweizerische Armee: Kriegs und Katastrophenpsychiatrie. Bern 1990. (Behelf 59.30 d) Zeitschrift:Militärpsychiatrie Nr.12 - 1994. Schwarze IKRK Chronik: Ueber l00 Tote in zehn Jahren Das IKRK hat in den letzten l0 Jahren bei schweren Zwischenfällen über l00 Mitarbeiter verloren . 89 davon waren lokale Angestellte, die übrigen waren Delegierte. Nicht alle kamen bei kriegerischen Auseinandersetzungen ums Leben, viele starben auch bei Autounfällen. Die Organisation verzeichnet vor allem in jüngerer Zeit einen rasanten Anstieg der Zwischenfälle: In den letzten fünf Jahren waren über 185 IKRK-Mitarbeiter in gefährliche Zwischenfälle verwickelt. Das ist doppelt soviel wie in den fünf Jahren zuvor. Dafür ist nicht nur die Brutalisierung der Konflikte verantwortlich, sondern auch eine starke Zunahme der Aktivitäten. Heute arbeiten im Feld nur l000 Delegierte, die von gegen 5000 lokalen Mitarbeitern unterstützt werden. Das ist mehr als doppelt soviel als noch vor fünf Jahren. |