Medien und Informatik 

 

Fliegende Klassenzimmer im Cyberspace

Das Internet als Lernmedium

Rund 300 Jugendliche aus allen Schweizer Landesteilen haben im vergangenen Schuljahr beim internationalen Internet-Wettbewerb Thinkquest mitgemacht. Der Wettbewerb will das Internet als Lerninstrument bekanntmachen und internationale Zusammenarbeit fördern.

«Haare»1 heisst der Wettbewerbsbeitrag, den der 13jährige Patrick Karpiczenko und der 12jährige Reto Lüscher aus dem bernischen Jegenstorf zusammen mit der 17jährigen Janice Dru aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania erarbeitet haben. Die deutsch-englische Internet-Seite ist ausgesprochen originell und vereint Fakten rund ums Thema Haare mit witzigen interaktiven Elementen wie etwa einem Comic oder einem Quiz. Hinter der Seite steckt ein beträchtlicher Aufwand: «Unser grösstes Problem war die Zeit. Wir haben viel zu spät angefangen und konnten dann nicht mehr alle Ideen umsetzen.»

Erstaunliche Qualitäten haben auch andere Beiträge, die im Rahmen des internationalen Schülerwettbewerbs Thinkquest im und fürs Internet erarbeitet wurden: Mit «Count Now»2 haben drei Gymnasiasten aus Langenthal den erfolgreichen Versuch unternommen, Zahlen aus Wissenschaft, Gesellschaft und Politik anschaulich darzustellen. Viele der Werte verändern sich ständig: Fast unheimlich wird einem beim Beobachten des unaufhaltsamen CO2-Anstiegs. Teammitglied Christoph Eggimann wertet seine Erfahrungen mit dem Wettbewerb positiv: «Der Wettbewerb verlangte von uns viel Durchhaltewillen. Auch punkto Fremdsprache konnten wir viel profitieren, weil der Beitrag in englischer Sprache abgegeben werden musste.»

Rund 300 Jugendliche aus der Schweiz haben im vergangenen Schuljahr bei Thinkquest mitgemacht und sich mit rund 7000 Schülerinnen und Schülern aus über 100 Ländern gemessen. Aufgabe war, ein möglichst attraktives und interaktives Internet-Angebot zu einem Thema aus Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur oder Sport zu gestalten. Der Wettbewerb will das Internet als Lerninstrument bekanntmachen und gleichzeitig die internationale Zusammenarbeit fördern. Gerade letzteres habe viel Engagement von den Teilnehmern verlangt, meinen Patrick Karpiczenko und Reto Lüscher. So galt es zum Beispiel mit der Zeitverschiebung fertig zu werden; Telefonate mit der Teampartnerin in den USA kamen aus Kostengründen nicht in Frage, also traf man sich zu einem Chat im Internet.

Das Lernen lernen

Hinter Thinkquest steht die US-amerikanische Nonprofit-Organisation Advanced Network & Services. Treibende Kraft ist deren Präsident Al Weis, der 30 Jahre lang in der Forschung von IBM tätig war, davon 2 Jahre auch am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon. Weis erläuterte an einer Tagung im Gottlieb-Duttweiler-Institut seine Vision: «Wer den ständig wechselnden Anforderungen im Berufsleben genügen will, kann nicht mehr auf Vorrat lernen. Er muss darum zuerst das Lernen lernen.» Zum Umgang mit neuen Technologien wie dem Internet gehöre auch die Fähigkeit, Informationen zu filtern und zu werten. Entscheidend für Thinkquest sei auch die soziale Komponente: «Wer eine Technologie beherrscht, hat die Verpflichtung, diese Fertigkeit an andere mit weniger Kenntnissen weiterzugeben.»

In den fünf Jahren des Bestehens von Thinkquest haben die Organisatoren die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs immer wieder verändert und angepasst. Ein wichtiges Augenmerk galt dabei der Zusammensetzung der Teams. Schliesslich wollte man verhindern, dass Thinkquest zum Tummelfeld für jene wird, die den Computer und das Internet zu ihrem einzigen Hobby auserkoren hatten. Die Teilnehmenden werden ermuntert, ihr Team möglichst unterschiedlich zusammenzusetzen: in bezug auf Nationalität, Sprache, Geschlecht, aber auch in bezug auf technische Fähigkeiten und Ausrüstung. Buben sollen mit Mädchen zusammenarbeiten, Schüler aus den USA mit solchen aus anderen Ländern, Kinder mit guten technischen Kenntnissen mit solchen, die weniger Kenntnisse haben.

Nach der Einschätzung von Al Weis kann seine Organisation weltweit die grösste elektronische Bibliothek mit Bildungsinhalten offerieren: 3000 Angebote sind heute unter www.thinkquest.org zu finden; an ihrer Entstehung haben Zehntausende von Jugendlichen aus über 100 Ländern mitgearbeitet. Die Thinkquest-Server verzeichnen jeden Tag rund 50 Millionen Zugriffe und gehören damit zu den 500 meistbesuchten der Welt. Spitzenreiter in der Thinkquest Library ist eine Einführung in die Börsenwelt ,3 sehr populär sind auch ein Angebot zum Thema Physik4 oder eine Seite über «Moderne Meisterwerke der Kunst».5

Ein wichtiges Mittel, um die Teams zu dieser anspruchsvollen Aufgabe zu motivieren, sind die Preise: Insgesamt werden beim Thinkquest-Final, der am 22. November in Los Angeles stattfindet, über eine Million US-Dollar verteilt: Neben den Teammitgliedern werden auch deren Coaches sowie die Schulen der Gewinner ausgezeichnet.

Ermutigende Erfahrungen

Advanced Network & Services, der Veranstalter von Thinkquest, arbeitet heute in 49 Staaten mit nationalen Partnern zusammen. In der Schweiz hat das Migros-Kulturprozent diese Rolle übernommen und kooperiert mit der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (wf) sowie der Schweizerischen Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen (SFIB). Auf Initiative der wf wird in der Schweiz der Swiss Web Award - eine eigene Schweizer Ausscheidung - durchgeführt. Wichtig ist auch der Beitrag der SFIB, die im Auftrag der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren sowie des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie handelt. Die SFIB garantiert gewissermassen die Kompatibilität von Thinkquest mit dem Schweizer Schulsystem.

Die Erfahrungen nach einem Jahr mit Thinkquest in der Schweiz sind ermutigend: Knapp die Hälfte der rund 300 Teilnehmenden hat schliesslich auch eine Webseite fertiggestellt und damit einen Wettbewerbsbeitrag eingereicht. So kamen insgesamt 62 neue Internet-Angebote zustande. Einige jener, die die Arbeit einstellen mussten, wollen beim nächsten Wettbewerb wieder dabeisein. Mädchen sind offenbar schwieriger zum Mitmachen zu gewinnen; dies ist eine Erfahrung, welche die Organisatoren auch schon im letzten Jahr machen mussten.

Die Kommentare der Coaches, welche die Teams begleiteten - in der Regel handelt es sich dabei um Lehrerinnen und Lehrer -, sind ebenfalls positiv. Beat Biffiger vom Kollegium Spiritus Sanctus (Oberwalliser Mittelschule) in Brig konnte gleich mehrere Teams motivieren, mitzumachen. «Der Wettbewerb fördert das Denken im Team, und gerade deshalb empfinde ich Thinkquest als Bereicherung.» Robert Koch, Lehrer an der KVZ Business School in Zürich, hat Thinkquest fest in sein Lehrprogramm eingebaut: «Thinkquest ermöglicht es, den Projektunterricht als wenig praktiziertes Unterrichtsmodell einzusetzen.»

Final in Los Angeles

Der Erfolg von Thinkquest in der Schweiz lässt sich auch anhand der Resultate überprüfen: Die beiden eingangs erwähnten Seiten wurden bei der Verleihung des Swiss Web Award am vergangenen Mittwoch ausgezeichnet. Der erste Preis ging an eine Schülergruppe aus Brig, die mit einer Internet-Seite zum Thema optische Täuschungen die Jury überzeugen konnte. Weitere Preise erhielten die Gestalter von Seiten zu den Themen Schlaf und Umwelt. Vier weitere Teilnehmer wurden mit einer Ehrenmeldung ausgezeichnet. Im internationalen Final wird die Schweiz mit zwei Teilnehmern vertreten sein. Beide sind in der Schweiz unter den ersten vier. Dies ist bemerkenswert, weil sich die internationale und die Schweizer Jury nicht abgesprochen haben.

Der Internet-Wettbewerb Thinkquest wird auch im laufenden Jahr wieder ausgeschrieben. Das detaillierte Wettbewerbsreglement6 findet sich im Internet. Auch diesmal wird wieder ein Swiss Web Award durchgeführt, der von verschiedenen Firmen mit Preisen unterstützt wird. Teilnehmen können bei Thinkquest 12- bis 19jährige Jugendliche. Jedes Team muss von einem erwachsenen Coach betreut werden. Bis spätestens am 1. Mai 2000 müssen Teamzusammensetzung und Themen bekannt sein, Abgabeschluss ist der 15. August 2000. Thinkquest wird auch ein Thema der Tagung «Unterrichten mit neuen Medien» sein, die am Samstag, 6. November, an der ETH Zürich stattfinden wird.

1 http://library.advanced.org/26829
2 http://library.advanced.org/28114
3 http://library.advanced.org/10326
4 http://library.advanced.org/10796
5 http://library.advanced.org/17142
6 http://www.thinkquest.ch/

Dominik Landwehr

Der Autor arbeitet beim Migros-Kulturprozent im Bereich Science & Future und ist der Koordinator von Thinkquest in der Schweiz.

Neue Zürcher Zeitung, 29. Oktober 1999

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