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Roboter und künstliche Intelligenz (NZZ)
 
 
 

Daniel Düsentrieb und das Migros-Kulturprozent

Artikel für MGB Kaderzeitschrift SIGNAL

Experimentierlust und Neugier sind zwei entscheidende Fähigkeiten um die Zukunft zu meistern. Dominik Landwehr, Markenleiter beim Migros-Kulturprozent im Bereich Science & Future, erklärt, wie er zu diesem Schluss kommt

{Zu den eindrücklichsten Persönlichkeiten, die ich in den letzten zwei Jahren kennengelernt habe, gehört der Zürcher Informatiker Rolf Pfeifer. Er arbeitet in einem schmucklosen Neubau an der Uni Irchel. Dort leitet er das "Artificial Intelligence Lab" - das Labor für künstliche Intelligenz. Es gleicht ein wenig der Werkstatt von Daniel Düsentrieb und auch Pfeifer als Person hat mit seiner ansteckenden Begeisterung etwas von dieser sympathischen Figur. Für Pfeifer ist klar: Die Zukunft liegt nicht nur im Cyberspace, sondern in der Robotik. Zusammen mit seinen Assistenten und Studenten entwickelt er Roboter, um anhand dieser Erfindungen etwas über das Wesen der menschlichen Intelligenz zu erfahren.

Rolf Pfeifer war kürzlich für ein Jahr Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology,kurz MIT genannt. Das MIT gehört zu den weltweit führenden Universitäten auf dem Gebiet der Technologie. Rolf Pfeifer fand bei seinem Aufenthalt eine Beobachtung bestätigt, die er schon früher gemacht hatte: Seine amerikanischen Kolleginnen und Kollegen wählen in ihren Projekten oft eine andere Vorgehensweise als wir Europäer: Auf dem alten Kontinent wird zuerst lange nachgedacht, es wird disktutiert, Theorien werden entwickelt und so verfliesst eine lange Zeit, bis dann ein erster Prototyp gebaut wird. Anders in einem US Labor: Wer eine erste Idee hat, legt los, baut ein Modell, ein zweites, ein drittes. Vielleicht funktionnieren sie alle nicht und zeigen nicht die gewünschten Resultate. Aber mit jedem Schritt ist der Forscher seinem Resultat näher. Nach einigen Monaten liegen vielleicht einige Roboter auf dem Schrotthaufen. Aber die Arbeit war nicht umsonst, denn die Forscher haben etwas gelernt daraus und im vierten oder fünften Anlauf gelingt dann vielleicht ein Roboter, der den Anforderungen genügt. In der gleichen Zeit haben die europäische Roboter-Forscher vielleicht erst einen einzigen Protoypen gebaut und überlegen nun, wie er verbessert werden könnte. "Wir müssen uns die Haltung der Amerikaner zum Vorbild nehmen", sagt Rolf Pfeifer heute. Zum Erfolg braucht es nicht nur das Wissen und das Können, es braucht auch das Wollen und dazu gehört eine tüchtige Portion Experimentierlust und Unbekümmertheit. Das sind Eigenschaften, die uns Europäern - und Schweizern insbesondere - häufig abgehen. Wer bei uns ein Risiko eingehen will, fragt häufiger zuerst nach dem möglichen Verlust - und nicht nach dem möglichen Gewinn. Pfeifer ist nicht der einzige, der so denkt: "Unsere Krisen sind zu einem erheblichen Anteil selbst gemacht, mental. Wir begleiten die Entwicklung der modernen Medientechnik nicht mit Experimentierlust und Pragmatismus sondern mit schwarzer Skepsis oder naivem Utopismus". Das sagt Peter Glotz in seinem eben erschienenen Buch "Die beschleunigte Gesellschaft". Glotz - bisher Rektor der Universität Erfurt - ist seit dem 1.Januar dieses Jahres ständiger Gastprofessor für Medien und Gesellschaft im Institut für Medien und Kommunikationsmanagement an der Universität St.Gallen.

Was hat dies alles mit dem Kulturpozent zu tun? - Zweierlei: Erstens lassen wir uns von solchen Ideen und Werthaltungen inspirieren, zweitens entwickeln wir mit Rolf Pfeifer auch gemeinsame Projekte. Nach einem Vortrag und einigen eindrücklichen Demonstrationen, die Pfeifer im Rahmen der Veranstaltungsreihe "digital brainstorming" im Migros-Hochhaus hielt, sassen wir bei einer Flasche Wein zusammen. Dabei berichtete der Informatiker, dass er gelegentlich von Jugendlichen, die sich mit Robotik befassten, um Ratschläge und Unterstützung angegangen werde. Könnte man, so fragten wir uns, nicht zusammen eine Arbeitswoche für interessierte Jugendliche gestalten? - Die Idee soll diesen Sommer zum ersten Mal umgesetzt werden. Ziel des Programms ist nicht in erster Linie, dass die Jugendlichen nach dieser Arbeitswoche einen putzigen Roboter heimnehmen können, Ziel ist vielmehr, dass sie aus erster Hand etwas über eine neue und vielversprechende Technologie lernen. Der Kurs soll übrigens nicht in einem Feriencamp in den Bergen stattfinden, sondern in den nüchternen Räumen der Unversität Zürich und auf diese Art auch mithelfen, Berührungsängste mit der Forschung und ihren Institutionen abzubauen.

Pragmatismus und Experimentierlust sind auch Triebfedern in anderen Projekten: Zum Beispiel im Kulturbüro, welches das Migros-Kulturprozent seit Oktober 1998 betreibt. Neben der Möglichkeit einen Lieferwagen oder einen Ausstellungsraum zu mieten, bieten wir dort Zugang zu Grafikcomputern, Videokameras und Videoschnittplatz und fördern so die kreative Auseinandersetzung mit Neuen Medien. Das Modell Kulturbüro soll übrigens Schule machen: Die Gespräche über die Eröffnung eines zweiten solchen Büros in Bern - unter der Federführung der Migros Aare - sind sehr vielversprechend angelaufen.


Auch beim Internet-Wettbewerb ThinkQuest, den wir in diesem Jahr wieder mittragen, geht es um ähnliche Zielsetzungen: 300 Schweizer Jugendliche haben im vergangenen Jahr mitgemacht. Davon hat rund die Hälfte abgeschlossen, zwei Schweizer Jugendlichen gelang der Sprung in den internationalen Final, der im November 99 in Los Angeles stattfand, zahlreiche weitere wurden beim "Swiss Web Award" ausgezeichnet. Und: Wir sind der festen Überzeugung, dass auch jene, die ihre Arbeit nicht abschliessen konnten, etwas gelernt haben. Nicht wenige davon wollen im laufenden Jahr wieder dabei sein. Das Projekt ThinkQuest zeigt auch etwas Weiteres: Wenn wir von neuen Medien und Technologien reden, dann geht es nicht allein um technische, handwerkliche Fertigkeiten, die ausgebildet werden müssen. Wichtiger noch sind soziale Fähigkeiten. Bestätigt hat mich zum Beispiel die Business Week, die Ende Jahr über die Probleme der europäischen Wirtschaftsentwicklung schrieb: "Europe's tech companies aren't just looking for people who can write software code or design a Web page. Even more important, companies need employees who can work in a team with people from other cultures and who know about communication and marketing". ThinkQuest liefert auch einen wichtigen Impuls für die Schulen, die nach Wegen suchen, die Möglichkeiten des Internet auf eine sinnvolle Art und Weise zu integrieren. Nicht selten lernen dabei die Lehrer auch von den besseren Kenntnissen der Schüler. Lebenslanges Lernen ist laut Peter Glotz ein wichtiges Schlagwort, nicht nur für die Lehrer. "In der Gesellschaft, auf die wir uns zubewegen - und die manche als eine Wissensgesellschaft bezeichnen -, wird Lernen die wichtigste menschliche Aktivität sein. Die digitale Technologie kann das Leben der nachfolgenden Generationen dramatisch zum Guten oder zum Schlechten verändern, und Schule und Unversität, die zentralen Institutionen des Wissens, werden im digitalen Kapitalismus einen gewaltigen Bedeutungsverlust erfahren, wenn sie sich diesen Technologie nicht rasch und wirksam öffnen". Experimentierlust, Sozialkompetenz, die Fähigkeit mit Computern und neuer Technik überhaupt umgehen zu können, das sind alles Qualitäten, die uns mithelfen, die Zukunft zu meistern. Gibt es eine Versicherung, dass wir mit diesen Fähigkeiten bestehen können? -

Und was ist mit den anderen - sie, über die der bekannte deutsche Autor Hans Magnus Enzensberger im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kürzlich schrieb: "Leute, die nicht in den Tugendkatalog des digitalen Kapitalismus passen und die daher aus seiner Perspektive überflüssig sind. Sie machen zweifellos auch in den reichen Ländern einen stetig zunehmenden Teil der Bevölkerung aus. Im Weltmasstab sind sie ohnehin die überwältigende Mehrheit". Um die Zukunft meistern zu können braucht es eine weitere Werthaltung, die zum eigentlichen Warenzeichen einer Gesellschaft zählen muss. Sie heisst Solidarität. Die traditionellen Institutionen, die diese Werte verteidigen, Schule, Kirche, Parteien, werden ihrer Rolle immer weniger gerecht. Der Gedanke, dass auch Unternehmen ihren Teil dazu beitragen scheint vielen immer naheliegender. In der Migros hat er bereits eine lange Tradition.

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