"Jede
Minute kostet 33 Franken" /Eine Zeitreise in die siebziger
Jahre
25 Jahre nach der Erstauflage ist Emil Zopfis Roman "Jede
Minute kostet 33 Franken" wieder erschienen. Er gibt ein
Stimmungsbild jener Zeit, in der Computer als geheimnisvoll-unheimliche
Maschinen nur als Bedrohung für Mensch und Menschlichkeit wahrgenommen
werden konnten. Die Neuauflage verdankt sich dem Fortschritt
der Computertechnik: Produziert wird das Buch im Print-on-Demand-Verfahren.
Beklemmung stellt
sich beim Lesen des Buches ein - damals wie heute: Unendlich
langsam verrinnt die Zeit in Zopfis Erzählung, und mit jeder
Minute gerät die Welt von Kern, Schichtleiter im Rechenzentrum
der Computerfirma ICS in Zürich Altstetten, ein Stück mehr aus
den Fugen. Als schliesslich Rauch aus den Speicherkästen quillt,
ahnt der Leser, dass sich dieses System nicht mit einem einfachen
Reset wieder starten lässt. Das Bild aus dem Traum des Schichtleiters
wird immer realer: "Greif in die Eingeweide der Maschinerie
hinein. Reiss an den Drähten und Kabeln. Zerr das Zeug ans Licht.
Trample den Haufen zusammen. Die gedruckten Schaltungen, Stecker,
Bandkabel, Speicherplatten. Reiss die Bänder von den Spulen
. . ."
Der Computer ist der Klassenfeind
Die erneute Lektüre des Buches*1 aus dem Jahre 1977 ist eine
Zeitreise in die Befindlichkeit jener siebziger Jahre, in denen
das Wort Computer noch nicht in aller Leute Munde war. Zopfis
Erzählung spielt in der Nacht vom 29. auf den 30. April 1975
- in jenen Stunden, als die letzten US-Truppen Saigon verliessen
und damit der Vietnamkrieg ein Ende fand. Der Vietnamkrieg ist
eines der dominierenden Themen in der Öffentlichkeit jener Tage
und gleichzeitig auch das Leitmotiv der Protest-Generation von
1968, zu der auch Schichtleiter Kern gehört. Oder gehört hat,
denn Kern opfert seine Ideen von mehr Gerechtigkeit der lockenden
Karriere beim Computerkonzern ICS, hinter dem sich unschwer
IBM erkennen lässt. Er wird zum Sklaven des Systems, und er
zappelt im starren Korsett der durch die Maschine diktierten
Arbeit - an deren Perfektionierung er selber mitgearbeitet hat.
Von ihm stammt die Mahnung, die überall an den Wänden hängt:
"Jede Minute kostet 33 Franken", er hat überall Uhren
anbringen lassen.
Die Zusammenarbeit der Menschen in jenem Rechenzentrum in Zürich
Altstetten lässt sich nicht auf perfekte Art organisieren; der
Leser erhält im Lauf dieser einen Nacht einen Blick in die Innenwelt
des ehrgeizigen Schichtleiters, der mit dem Tod seines Kindes
und der Trennung von seiner Frau nie fertig geworden ist.
Exotisches Thema
Ein Computer ist 1975 eine grosse Maschine, die mit Lochkarten
gesteuert wird und für deren Bedienung mehrere Techniker erforderlich
sind. Zopfi schrieb damals gewiss kein technisches Buch, erreichte
aber in seinen Beschreibungen jener kolossalen Maschine immer
wieder eine sprachliche Verdichtung, die beeindruckt und das
Buch auch heute noch lesenswert macht: "Signallampen glimmen
auf. Hundert gleichzeitig. Lösen sich dann in ein aufgeregt
blinkendes Muster auf, das die stumpfe Front des Computers belebt.
Maschinentakt - und die Schreibmaschine hackt mit ihren Stahlfingern
aufs Papier ein. Magnetbandrollen laufen an. Das braune Band
spult ruckweise ab, wellt sich und biegt sich in die Vakuumkanäle
hinein und schlängelt sich zwischen die Leseköpfe hindurch".
Der Rezensent dieser Zeitung hat in seiner Besprechung im Jahre
1978 Zopfis Unterfangen gelobt, gerade weil sie die neue Welt
der Computer, "diese geheimnisvoll-unheimliche Welt",
wie er sie nannte, dem Laien zugänglich mache. Das war offenbar
ein Risiko - wie kann man es sich sonst erklären, dass der Limmat-Verlag
den Begriff Computer auf keinen Fall im Titel haben wollte.
Zu wenig Leute, so fürchteten die Verantwortlichen offenbar,
hätten sich für ein derart exotisch anmutendes Thema interessiert.
Schattenseiten
"Jede Minute kostet 33 Franken" ist noch in einem
weiteren Sinn eine Zeitreise: Die Erzählung dokumentiert eine
kritisch-ablehnende Haltung der Technik gegenüber, die in der
Schweiz damals en vogue war. Sie spricht vom Janusgesicht der
Technik und sieht nur allzu oft deren Schattenseiten: So erstaunt
es auch nicht, dass in der geschilderten Nacht die Löhne einer
fiktiven Schweizer Waffenfabrik gerechnet werden, während die
Programmierer nebenan über einem Fehler in den ballistischen
Bahnen von Raketen aus ebendieser Waffenfabrik grübeln. Und
sie bestätigt den Eindruck, dass diesseits und jenseits des
Atlantiks ganz unterschiedlich über diese neue Technologie gedacht
wurde.
Emil Zopfis Figuren sind keine Erfinder oder Mitgestalter jener
neuen Technik. Sie sind im besten Falle Moderatoren, im schlechtesten
Fall Opfer. Eine Lösung - sie ist im Buch nur angedeutet - gibt
es für sie allenfalls im Ausstieg aus dieser Welt. Ein "Frühwarnsystem",
hat der Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter die Erzählung
damals in einer Fernsehsendung genannt. Die Computertechnologie
galt also als Gefahr, Intellektuelle waren gefordert als Warner.
Weniger zahlreich waren aber jene gesellschaftlichen Seismographen,
welche die Potenziale der neuen Technologie erkannten. Es fehlte
in der Schweiz an jenen technikfreundlichen Milieus, in denen
sich die Ideen und Anregungen, wie sie etwa der Schweizer Informatik-Pionier
Niklaus Wirth 1977 von seinem Aufenthalt im Palo Alto Research
Institute (Parc) von Xerox zurückbrachte, erörtern liessen.
Dem Autor daraus einen Vorwurf konstruieren zu wollen, wäre
wohl falsch - Zopfi zeichnet mit seinem Roman ein Bild der Stimmung
jener Zeit, in der eine kreative Auseinandersetzung mit der
neuen Welt der Computer bestenfalls an einigen wenigen Instituten
Technischer Hochschulen stattfand. Ein Computerroman, der die
Menschen als neugierige, erfindende und gestaltende Subjekte
zeigt, wie etwa Tracy Kidders berühmt gewordenes Buch "The
Soul of a New Machine" aus dem Jahre 1981, konnte unter
diesen Verhältnissen nicht entstehen.
Digitaldruck ermöglicht Kleinstauflagen
Zopfis Buch erscheint nicht in einer gewöhnlichen Neuauflage,
sondern im neuartigen Print-on-Demand-Verfahren gewissermassen
tröpfchenweise: Für jede Bestellung wird ein neues Exemplar
gedruckt. Nach Auskunft des Autors wurde in diesem speziellen
Fall sogar weder auf digitale Druckvorlagen noch auf Filme zurückgegriffen,
stattdessen wurde schlicht ein altes Exemplar eingescannt. Der
Leser merkt von all dem nichts - er hält ein normales Taschenbuch
in der Hand. Nur ein sehr genauer Blick auf die Typografie zeigt,
dass die Buchstaben manchmal an den Rändern ausfransen. Das
Verfahren wird hierzulande von der Firma Books on Demand*2 angeboten.
Gedruckt werden die Bücher tatsächlich "on demand"
einmal pro Woche, und zwar in Deutschland. Dabei kommt ein Digitaldruckverfahren
der Firma Xerox zum Einsatz. Das Bestellvolumen aus der Schweiz
liegt heute nach Angaben eines Firmensprechers bei respektablen
250 000 Seiten im Monat. Eine eigene Maschine würde sich in
der Schweiz ab einem Volumen von einer Million Seiten pro Monat
lohnen.
Unsterbliches Medium Buch
Finanziell sieht die Sache einfach aus, wie sich am Beispiel
eines Paperback-Titels mit 100 Seiten Umfang zeigt: Der Kunde
bezahlt eine einmalige Grundgebühr von 350 Franken und trägt
die ebenfalls einmaligen Masteringkosten von 80 Franken. Alle
weiteren Kosten fallen nur noch für die einzelnen Exemplare
an und liegen zwischen 5 und 6 Rappen pro Seite. Zwar werden
die Gesetze der Ökonomie auch bei diesem Modell nicht ausgehebelt,
denn natürlich sinken die Kosten mit steigender Auflage. Entscheidend
ist aber, dass die Auflage schrittweise gedruckt werden kann.
Ohne Zweifel ist dieses Verfahren interessant für Kleinauflagen
und Drucksachen, die im Eigenverlag erscheinen. Daneben produzieren
aber bereits namhafte Verlage - darunter der Haffmans-Verlag
und neuerdings auch Orell Füssli - gewisse Titel auf diese Art
und Weise. Das Schweizer Buchzentrum ist bei Books on Demand
nicht nur Partner, sondern auch mitbeteiligt. Nach Angaben des
Firmensprechers wird das Verfahren auch für den Druck von Dissertationen
und Vorlesungsunterlagen benutzt. Die Schweizer Niederlassung
von Books on Demand registriert auf Wunsch einen Titel auch
im Verzeichnis der lieferbaren Bücher (VLB). Die Geschichte
dieser "Books on Demand" ist ein weiteres Beispiel,
dass sich Vitalität des alten Mediums Buch und Potenzial der
Digitaltechnologie nicht auszuschliessen brauchen, sondern durchaus
befruchtend füreinander wirken können.
*1 Emil Zopfi: Jede Minute kostet 33 Franken. Zürich, Limmat-Verlag
1977. (www.zopfi.ch)
*2 www.bod.ch
Dominik Landwehr
i
Mailanschrift des Autors:
dlandwehr@bluewin.ch
home