Ein ungewöhnliches Projekt an der Universität Bern

Eine Karte als Geschenk für das junge Eritrea


Von Dominik Landwehr

Ein Geburtstagsgeschenk unkonventioneller Art erhält der junge ostafrikanische Staat Eritrea: Zum zweiten Jahrestag der Unabhängigkeit in diesem Frühjahr wird ihm nämlich das Geografische Institut der Universität Bern eine Landeskarte im Massstab l:l Million überreichen. Weil die Berner Geografen in Eritrea schon vor der Unabhängigkeit jahrelang Daten gesammelt hatten, konnte die Karte mit verhältnismässig wenig Aufwand und geringen Kosten von nur 90 000.- Franken hergestellt werden. Davon übernahm der Bund knapp die Hälfte. Mit dem 'global positioning system' GPS kamen bei der Herstellung der Karte neben traditionellen Instrumenten auch High-Tech Geräte zum Einsatz. Von Dominik Landwehr

Der junge Staat Eritrea am Horn von Afrika scheint wie geschaffen für entwicklungspolitische Projekte der kleinen Schweiz. Diese Vorstellung ist aber mindestens in diesem Fall eine Fehlanzeige: Die Berner Geografen interessierten sich nämlich lange vor der Unabhängigkeit von Eritrea für dieses Land: Schon in den 70er und 80er Jahren unternahm die Gruppe für Entwicklung und Umwelt am Geografischen Institut der Uni Bern ausgedehnte Forschungen im damaligen Aethiopien und hatte auch in Eritrea, das damals noch eine Provinz von Aethiopien war, eine Forschungsstation. Der Projektverantwortliche Hans Hurni: "Wir studierten die Probleme der Bodenkonservierung. Aethiopien und auch Eritrea gehören zur Sahel-Zone und verlieren durch die unaufhaltsam voranschreitende Bodenerosion ständig wertvolles Acker- und Weideland. Dieser Entwicklung versucht man mit Terassenbau, Aufforstung und Dammbauten entgegenzuwirken." In zehnjähriger Arbeit entstand im Rahmen dieses Projekts zur Bodenkonservierung eine Datenbank zur Geografie des Landes: dazu gehören detaillierte Informationen zur Topografie, zum Strassennetz und Flussnetz, zur Höhenstufung und anderem. Für die Berner Geografen war es darum naheliegend, diese Daten weiter zu nutzen. Das Ende des Bürgerkrieges mit Aethiopien im Jahre 1991 und die formelle Unabhängigkeitserklärung des Staates, am 22.Mai 1993 gaben den Geografen die Anregung dazu. Der arme ostafrikanische Kleinstaat (siehe Kasten) hat sich seither daran gemacht, eine eigenes Staatswesen aufzubauen. Dass dabei die Schaffung eines leistungsfähigen karthografischen Institutes nicht die allererste Priorität hatte, versteht sich von selber. Hier hakten die Berner Geografen ein, denn sie wussten, dass karthografische Informationen für den Aufbau eines Staates und dessen Identitätsfindung von grosser Bedeutung sind.

Bund zahlt 50 000 Franken

Dass dabei kein flächendeckendes Netz von Karten im Massstab l:25000 das Ziel sein konnte, lag auf der Hand. Man beschränkte sich auf eine Uebersichtskarte im Massstab l:1Million Den Geografen stand dafür ein bescheidener Kredit von 90 000 Franken zu Verfügung. Daran bezahlt die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe (DEH) den Betrag von 50 000 Franken, der Rest wurde mit Mitteln der Universität gedeckt. Trotz des relativ kleinen Massstabs der Karte konnten zahlreiche Spezialinformationen aufgenommen werden: Dazu gehört zum Beispiel Informationen zu Böden und Landwirtschaft. Projektkoordinator Thomas Kohler erklärt: "Verschiedene Farben zwischen Grün und Gelb zeigen heute dem Betrachter an, welche landwirtschaftliche Nutzung im jeweiligen Gebiet möglich ist". Dazu kamen eine Reihe von Nebenkärtchen zu spezifischeren Themen wie Geologie, Niederschlag, Tourismus. Nicht überall standen die Daten schon zur Verfügung und mussten darum mit Feldbesuchen beschafft werden. Im Fall der Geologie stiess man beispielsweise in einer Regierungsstelle in Asmara auf eine brauchbare geologische Karte des Gebietes, die in das neue Kartenwerk integriert werden konnte. Ebenfalls übernommen werden konnten die grundlegenden topografischen Informationen: sie stammten aus Luftbildauswertungen, welche die USA zusammen mit dem damaligen Aethiopien in den 60er Jahren hergestellt hatten. Satellitenaufnahmen, Forschungsergebnisse und vorhandene Informationen ebneten den Berner Geografen das Feld. Wären diese Grundlagen nicht zur Verfügung gestanden, hätte sich diese Karte nicht mit so bescheidenem Aufwand realisieren lassen, sondern hätte Millionen gekostet.

Moderne Elektronik hilft im Feld

Was aber fehlte und nicht in einem Büro der Regierung zu beschaffen war, waren genaue Angaben über die Strassenführung und Lage der Ortschaften. Hier blieb nichts anderes übrig, als eine Vermessung vor Ort vorzunehmen. Der Geograf Paul Loosli, der während des Bürgekrieges und der Hungsernot Mitte 80er Jahre für das IKRK in Eritrea gearbeitet hatte und mit Land und Kultur bestens vertraut war, besorgte in einem mehrwöchigen Feldbesuch die notwendigen Daten. Dabei kam ihm modernste Technologie zur Hilfe: Das Zauberwort heisst 'global positionning system' , ein Navigationsgerät von der Grösse eines tragbaren Radios das aufgrund von Satellitensignalen die jeweils aktuelle Position berechnet und heute in der Seefahrt, in der Fliegerei aber auch in der Vermessung immer populärer wird. Ausgerüstet mit diesem Gerät machte sich Paul Loosli daran, die wichtigsten Strassen des Landes abzufahren und alle fünf Kilometer das Gerät abzulesen. Diese Daten konnten in Bern dann ausgedruckt und in die Karte übertragen werden. Genauste Elektronik kann aber den gesunden Menschenverstand nicht ersetzen:"Wir mussten für jeden gemessenen Punkt eine Plausiblitätsprüfung machen", erklärt Loosli lachend - wenn bei der Uebertragung der Daten eine Ortschaft ins Meer zu liegen kam, so war offenbar ein Messefehler passiert.

In 25 Arbeitsschritten integrierte der Karthograf Andreas Brodbeck dann die Informationen zu einem Kartenwerk. Auch wenn modernste Computer ihm dabei halfen, so bewältigte er den Löwenanteil der Arbeit doch mit dem traditionellen Instrument der Karthografen: dem Stichel, mit dem er Millimeter für Millimeter die bereitgestellten Informationen auf verschiedenen Filme für die Kartenherstellung übertrug.

Die politische Dimension

Bald schon gingen erste Entwürfe der Karte in die eritreische Hauptstadt Asmara. Und hier erlebten die Berner Geografen Ueberraschungen - denn nicht alles, was sie geplant und entwickelt hatten, war willkommen: Zunächst einmal gefiel die Farbgebung der Karte nicht - die Abstufungen bewegten sich zu stark im Gelbbereich, der Wüste signalisiert. Das entspricht zwar den Tatsachen, denn Eritrea ist über weite Strecken ein arrides Land - aber es passte nicht ins Bild, das der junge Staat und seine ebenso jungen Beamten von sich hatten. Man einigte sich schliesslich darauf, jene Flächen, die für die Landwirtschaft am besten geeignet sind, in einem grünen Farbton zu markieren. Zu noch grösseren Diskussionen gab der Grenzverlauf zum Nachbarstaat Djibouti Anlass. Die Regierungsvertreter Eritreas waren mit den Grenzen, wie sie die Berner Geografen gezeichnet hatten nicht einverstanden und machten für den Grenzverlauf "historisch belegte" Ansprüche geltend, die aus der Zeit der italienischen Besetzung abgeleitet wurden. Hier gab es nichts zu verhandeln und heute ziert ein kleiner Kasten die Karte "Diese Karte ist für die internationalen Grenzen keine Autorität." Dass die Karte auch innepolitische Probleme berührte machte eine Spezialkarte über die Bevölkerungszahl und -Verteilung sowie die verschiedenen Sprachgruppen klar, welche die Berner Geografen in ihrem ersten Entwurf vorgesehen hatten. "Das wollen wir nicht" befand die Regierung. Sie befürchtet Dispute zwischen den verschiedenen Bevölkerungruppen (Christen und Muslime) und liess die Spezialkarte zur Bevölkerungsstatistik mit einer Spezialkarte zum Tourismus ersetzen. Mit ihrer Teilnahme an der Internationalen Tourismus Börse in Berlin im März hat die Regierung von Eritrea zwar gezeigt, dass sie diesen Wirtschaftszweig fördern will - von einem eigentlichen Tourismus kann aber heute noch kaum gesprochen werden.

Nun sind aber diese Diskussionen abgeschlossen und die Berner Druckerei Kümmerly & Frey wird noch dieses Frühjahr die ersten l0 000 Exemplare der Eritrea-Karte ausliefern.

Vielfältiger Nutzen

Was nützt nun dieses Projekt dem jungen Staat? - Die Karte soll zunächst einmal von Schulen und Universitäten benutzt werden. Damit aber nicht genug. Der Geograf Thomas Kohler: "Ein solches Kartenwerk ist auch Grundlage für die Entwicklung des Landes". Projektleiter Hans Hurni zeigt, wie mit Hilfe der neuen Karte, Entwicklungsschwerpunkte gesetzt werden können: So kann man etwa sehen, dass sich Landwirtschaft nur in den flachen Teilen des eritreischen Hochlandes lohnt - denn die Böden der steil abfallenden Hängen sind weitgehend zerstört, nachdem ebendiese Hänge schon vor Jahrzehnten abgeholzt wurden und im Tiefland fehlen die Niederschläge. Der Laie staunt - kann man dies wirklich allein aus der Karte herauslesen? - Institutsleiter Hurni schränkt ein: Solche Ideen müssen in Gesprächen entwickelt werden, die Karte liefert dabei die geografischen Grundlagen. Genau solche Gespräche möchte man in der Form von Workshops in Zukunft auch weiterpflegen. Generell will man die Partnerschaft mit Eritrea weiterführen: als nächste Etappe soll die in der Karte enthaltenen Information digitalisiert und auch in dieser Form der eritreischen Regierung zur Verfügung gestellt werden. Sie kann mit diesen digitalisierten Informationen dann mit relativ wenig Aufwand weitere Spezialkarten herstellen. Ein weiteres Zielpublikum für die Karte sind internationale Organisationen. Dazu gehörte etwa das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, das vor kurzem ein grosses Rücksiedlungsprojekt für eritreische Flüchtlinge aus dem Sudan eingeleitet hatte. UNO-Beamte würden oft mit sehr wenig Sachkenntnis handeln, meint Paul Loosli sarkastisch und ortet deshalb auch ein wichtiges Zielpublikum für die neue Karte bei den in Eritrea tätigen UNO- Organisationen. Hätten jene Leute, welche diese Rückführungsaktion planten die Karte schon gehabt, so hätte man die Flüchtlinge kaum in die trockensten und unwirtlichsten Gebiete des Landes gebracht, erklärt der Geograf Paul Loosli.

Dominik Landwehr

Die Eritrea-Karte gelangt nicht in die Buchhandlungen zum Verkauf. Sie kann aber zum Selbstkostenpreis von 10 Franken unter folgender Adresse bezogen werden: Gruppe für Entwicklung und Umwelt - Universität Bern- Hallerstrasse 12 - 3012 Bern. 


Eritrea - Kleinstaat mit Problemen

In Eritrea leben heute rund 3.5 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 117 000 km2 - verglichen mit der Schweiz also etwa halb so viel Einwohner auf einem dreimal so grossen Territorium. Es gibt in Eritrea neun verschiedene ethnische Gruppen sie werden dominiert von den im Hochland lebenden Tigrinya, sesshafte Bauern, die etwa 50% der Bevölkerung ausmachen und den Tigre, Halbnomaden, die in den tiefer gelegenen Landesteilen leben.

Eritrea hat - ähnlich wie die Schweiz - ein abwechslungsreiches Relief, das durch den Gegensatz zwischen dem zentralen Hochland, das relativ dicht besiedelt ist und dem Tiefland gegeliedert ist. Zum Hochland gehört die Hauptstadt Asmara, die auf einer Höhe von 2400 Metern liegt.

Noch in der Mitte dieses Jahrhunderts war Eritrea ein halbindustrialisiertes Land mit einer - vor allem im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten - hochentwickelten Infrastruktur, welche die italienischen Kolonialherren aufbauten. Dazu gehört etwa ein Strassen- oder Eisenbahnnetz und auch die die Hauptstadt Asmara mit ihrer mediterranen Architektur zeugt von dieser Zeit. Der über 30 Jahre lang dauernde Unabhängigkgeitskrieg Krieg mit Aethiopien hat aber die Lebensgrundlagen des Landes zerstört und zeitigte besonders gravierende Folgen für die Landwirtschaft: Sie vermag heute nur noch ca. 20% der Bevölkerung zu ernähren, obwohl traditionell 80% der Bevölkerung von kleinbäuerlicher Agrarwirtschaft leben. Heute ist rund ein Drittel der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland angewiesen. Mit einem geschätzen Bruttoinlandprodukt von 100 - 200 Franken pro Jahr - zählt das Land heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Bürgerkrieg mit Aethiopien ist seit 1991 beendet, das Land ist formell seit Mai 1993 unabhängig. Damit sind immerhin die politischen Rahmenbedingungen für eine Entwicklung des Landes geschaffen.

Auch wenn Eritrea kein Schwerpunktland Schweizerischer Entwicklungshilfe ist, so unterstützt die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe (DEH) doch eine Anzahl von Projekte im Land. Dazu gehört u.a. ein Programm für die Rückkehr eritreischer Flüchtlinge aus dem Sudan oder der Bau ein Stuaudamms für die lokale Bewässerung sowie ein Aufforstungsprojekt.


home