Transkription einer Rundfunksendung aus dem Jahre 1992
Einleitung
Bukarest im Dezember 1992 - wir sprechen vielleicht 20 Personen auf der Strasse an. Willkürlich. Man hasst die Zigeuner. Alle hassen sie.
Viele der betroffenen Zigeuner haben es nicht mehr ausgehalten und sind ausgereist - illegal, meist in die Bundesrepublik Deutschland . Jetzt werden sie wieder zurückgebracht. Am Vorabend unseres Besuchs ist die erste Maschine auf dem Flughafen Bukarest-Ottopeni gelandet. Möglich gemacht wurden diese Rückschaffung durch ein beispielsloses Abkommen zwischen der BRD und Rumänien. Beispiellos deshalb, weil dieses Abkmmen deutschen Staat die Möglichkeit gibt, rumänische Staatsbürger ohne Dokumente nur aufgrund ihrer Sprache zu identifizieren und heimzuschaffen. Für Klaus Brambach den Sprecher der deutschen Botschaft in Bukarest liegt der Fall anders.
Gestern kam ein Transport mit 130 rumän.Staatsbürgern. Ich habe mit 25 oder 30 Personen geredet - und habe sie gefragt, warum waren sie dort, wie hat es ihnen gefallen. Dann habe ich gefragt, sind sie legal eingereis?- Niemand all dieser hatte ein gültiges Visum. Alle sind illegal eingereist. Viele waren jung. Die Antwort: Keine guten Arbeitsbedingungen. Man sagt nicht keine - sondern in Deutschland geht es besser.
Wirtschaftliche Gründe mögen für viele der Zigeuner, die das Land verlassen haben, eine wichtige Rolle gespielt haben - wir werden im Lauf dieser Sendung sehen, unter welchen Bedingungen Anghörige dieser Gruppe in Rumänien leben müssen.
Mindestens einige davon flüchteten aus dem Land weil sie verfolgt wurden: immer wieder kam es seit dem Umsturz in Rumänien vor drei Jahren zu eigentlichen Pogromen, bei denen ganze Zigeunerdörfer abgebrannt wurden. Die Vorfälle laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Ein Streit liefert den Vorwand - Rumänen dringen darauf in die Dörfer der Zigeuner ein und setzen dort deren Häuser in Brand. Tote und Verletzte werden in Kauf genommen. Die Deutsche Gesellschaft für Bedrohte Völker registrierte im Jahr 1990 rund zwei Dutzend solcher Vorfälle - seither ist die Zahl etwas zurückgegangen.
Kann man deshalb von einer systematischen Verfolgung reden? - Die Frage geht an Katrin Reemtsma. Sie hat sich im Auftrag des Gesllchaft für Bedrohte Völker seit einigen Jahren mit der Situation der Zigeuner in Rumänien befasst und versucht, diese Uebegriffe umfassend zu dokumentieren.
Nein, man kann nicht von systematischen Verfolgung reden. Dafür waren zu wenig betroffen. Es gibt eine strukturelle Form der Gewaltbereitschaft. Das heisst nicht, dass man bei den jetztigen Fällen nicht von Verfolgung reden darf.
Soweit einige Schlaglichter auf die Situation der Zigeuner in Rumänien. Schon nach diesen wenigen Informationen ist klar geworden: Rumäniens Zigeuner leben in einer ausserordentlich schwierigen Situation. Wie diese Situation genau aussieht, wie es dazu gekommen ist und welche Wege möglicherweise daraus heraus führen, das möchte ich in dieser Sendung zeigen.
Herkunft und Geschichte
Zunächst einige Informationen zur Terminologie und Geschichte. Das Wort ZIGEUNER ist ein Sammelbegriff, der zudem oft im negativen Sinn wertend, also abschätzig gemeint ist. Will man genauer sein, dann spricht man von Roma Sinti oder auch von Jenischen. Katrin Reemtsma erklärt:
Sinti, das sind jene in Deutschland. In Osteuropa spricht man von Roma. Dies wiederum ist Sammelbegriff für verschiedene Kulturen. Die Jenischen der Schweiz haben einen anderen kulturellen Hintergrund - ihr Ursprung liegt nicht in Indien, sondern in Europa.
Rumäniens Roma benutzen den Begriff Zigeuner selber - im Gegensatz zu den Sinthi in Deutschland, die ihn ablehnen.
Wir beschränken uns in dieser Sendung auf die Gruppe der Zigeuner Osteuropas und werden - ihrem eigenen Brauch entsprechen - beide Begriffe, Roma und Zigeuner benutzen.
6 Millionen Roma soll es heute in Osteuropa geben. Zahlen sind schwer erhältlich und extrem unzuverlässig. Nach offiziellen Angaben leben etwa in Rumänien nur 200 000 Roma - Menschenrechtsgruppen schätzen, dass die wahre Zahl aber zwischen 2 und 4 Millionen liegt. Die Zigeuner Ostseuropas - die Roma - teilen miteiandner ihr geschichtliches Herkommen:
Sie kamen aus dem NW Indien - das haben Linguisten gemerkt vor 200 Jahren - ihre Sprache ist verwandt mit dem Sanskrit. Aber sie sind seit l000 Jahren im europäischen Raum. Sie haben sich teilweise assimiliert. Die Deutschen Sinti fühlen sich als Deutsche - die Roma als Rumänen.
Die rumänischen Zigeuner teilen miteinander ein weiteres Merkmal: Anders als in anderne osteuropäischen Ländern waren sie in Rumänien bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts versklavt.
In Rumänien waren Zigeuner über Jahrhunderte versklavt: erster Hinweis aus Rumänien aus dem 14. Jh. Die Begriffe Zigeuner und Sklaven waren lange gleichbedeutend. Sie konnten nicht frei reisen, ihre Frauen konnten vergewaltigt werden.
Und was dies bedeutet führt uns eine Tagebucheintragung des Ethnografen Heinrich von Wlisocki aus dem Jahre 1760 drastisch vor Augen:
Heutigen Tages sind drei leibeigene Zigeuner flüchtig geworden und wurden dieselben vom herrschaftlichen Diener Fara Janos wieder eingefangen. Der eine ist schon zweimal flüchtig geworden. Ich liess ihn auf Anraten meiner lieben Frau solange auf die Fussohlen mit Stöcken schlagen, bis das Blut rann; dann musste er seine Füsse in starker Lauge baden. Hierauf liessich ihm wegen ungebührlicher Reden die Oberlippe abschneiden und braten, die er dann verzehren mussten. Die anderen beiden Zigeuner liess ich 50 Stöcke kosten;sodann mussten sie zwei Schubkarren vol Perfdemist verzehren und alle drei vor dem Fenster meiner Frau mit entblössten Beinen knien.
Wo immer die Zigeuner seit ihrer Wanderung nach Europa auftauchten - überall schlug ihnen blanker Hass entgegen. Im Mittelalter wurde ihnen etwa vorgeworfen, sie würden Kinder entführen, schlachten und verspeisen - sie galten als Wilddiebe, Brandstifter, Zauberer und Spione und waren dementsprechen vogelfrei. In Ungarn durfte bis 1906 jedermann der einen Zigeuner bei einer vorgeblichen Missetat ertappte bis zum Eintreffen der Gendarmen an den Ohren an einen Baum nageln.
Mit der Sklaverei hatte die Tragödie der Zigeuner noch kein Ende: In den Zuchthäusern und Konzentrationslagern des Dritten Reiches wurden mehr als 200 000 Angehörige dieser Gruppe erschossen, erschlagen oder vergast. Ein guter Teil davon fiel in Rumänien dem faschistischen Diktator Antonescu zum Opfer, der die Zigeuner in Lager jenseits des Dniestrs im heutigen Moldavien verbringen liess.
In der Zeit des Kommunismus - in den letzten 40 Jahre - gab es Zigeuner offiziell nicht - Statistiken wurden schlicht gefälscht. In Rumänien arbeiteten viele Roma in landwirtschaftlichen Berufen, als Knechte auf Staatsbetrieben. Zigeuner, die als Nomaden durchs Land zogen, wurden per Gesetz sesshaft gemacht und in schnell erstellen Mietshäusern kaserniert, die bald zu Elendsvierteln verkamen.
Rumäniens Zigeuner sind nicht die einzige Minderheit im Land: sie teilen dieses Schicksal mit einer Vielzahl anderer Gruppen, unter anderem mit den Rumäniendeutschen, den Ungaren, mit den Russen, Bulgaren, Serben - alles Minderheiten in Rumänien. Anders als all diese haben die Roma aber keine andere Heimat , auf die sie sich berufen könnten als Rumänien - und dementsprechend auch keine Lobby, wie etwa die Ungaren oder die Rumäniendeutschen.
Ein Wort noch zur Musik der Zigeuner, die auch in dieser Sendung zu hören ist: Sie, die Musik ist die einzige kulturelle Aeusserung dieses Volkes, welche akzeptiert wurde - heute noch ist die Mehrheit der Volksmusiker in Rumänien Zigeuner.
Die soziale Realität heute
Wie sieht die Wirklichkeit der Zigeuner Rumäniens heute aus? - Um mir ein Bild davon zu machen, habe ich mich in zwei Zigeunerdörfer und in einem Zigeunerquartier in Siebenbürgen angeschaut. Ich habe das nicht allein gemacht, sondern wurde freundlicherweise einem Vertreter der Roma-Union, einer politischen Partei der Roma, geführt - er heisst Sandor Ciurcui.
Angefangen haben wir in Clodeni - ein Dorf, das im ungarischsprachigen Teil von Rumänien liegt, unweit der Stadt Tirgu Mures. Staatliche Häuser säumen die Strassen links und rechts. Kaum hat man den Bach am Dorfrand überquert, beginnt ein neues Dorf - die Häuser zeugen von einer anderen Baukultur - und sind verstreut angeordnet, ihre schiefen Dächer wirken fast etwas malerisch. Vor den Häusern stehen da und dort geflochtene Stühle und Tische - ein Hinweis auf das Gewerbe der hier lebenden Leute.
Fliessendes Wasser gibt es in den meisten Häusern nicht und bei einer gemeinsamen Wasserstelle treffen wir die Frauen des Dorfes trotz der tiefen Temperaturen beim Waschen ihrer Kleider an. Kinder folgen uns überallhin - ein Fremder, soviel ist klar, verirrt sich selten oder nie in dieses Dorf.
Wir melden uns beim Dorfobersten, der bei den Roma Bulibascha genannt wird. Er heisst Szanto Ludovic und stellt sich uns in seiner Sprache, dem Rom, vor:
In rumänischer Sprache erklärt uns der Bulibascha sodann die Lage seines Dorfes:
Es geht uns schlecht hier in Clodeni - wir haben keine Arbeit mehr. Ja - die Mehrheit der Leute hier in unserem Dorf sind arbeitslos. Und das Leben wird immer schwieriger, weil alles sehr teuer ist. Es gibt Familien mit über 5 Kindern. Ich erinnere mich an früher - es ging uns zur Zeit Ceausescus besser. Viele gehen heute stehlen, ja stehlen, damit sie nicht vor Hunger sterben: sie stehlen Holz und Hühner.
Von Clodeni fahren wir mit dem Auto 45 Minuten in ein anderes Zigeunerdorf: Craciunesti. Der Unterschied ist sofort spürbar: DIe Häuser hier sind stattliche Höfe - oft steht ein Auto davor. Mihail Burcea ist der Bulibascha in diesem Dorf: (Craciunesti (Reiches Zigeunerdorf)
Unsere Dorfgemeinde ist schon vor 400 Jahren hierher nach Transylvanien gekommen. Unsere Vorfahren waren Metallbearbeiter. Sie lebten noch im Zelt. Heute sind viele von uns Händler geworden und gehen ins Ausland - in die Türkei, auch nach Oesterreich oder Deutschland. Wir kaufen dort ein und verkaufen hier. Wir verdienen auf ehrliche Weise unser Geld - es gefällt uns nicht zu stehlen und zu prügeln.
Ein letzter Besuch führt uns in die Slums von Tirgu Mures - dem sogenannten Rovinar Quartier. Hier wurden unter Ceausescu 300 Zigeunerfamilien angesiedelt. Viele der Häuser sind nur noch Ruinen und unbewohnbar. Der Staat stellte Wasser, Strom und Heizung ab, als sich die hier zwangsangesiedelten Familien weigertne, dafür zu bezahlen.
Unser Roma-Vertreter führt uns in eine Parterre-Wohnung. Ein fast unerträglicher Gestank schlägt uns entgegen:
Wir sind l0 Kinder - hier schläft ein krankes Kind - auf diesem Bett schlafen die Eltern. Total sind wir 18 - hier kommt die Mutter
Es gibt kein Klo, kein Wasser, wenn wir essen kommen zuerst 8 und die anderen warten.
Der Vater ist pensioniert kriegt 5000 Lej und Sohn ist arbeitslos kriegt 3000 Lej. Ich bin behindert und kriege 3 x 3000 Lej im Monat. Die Mutter ist krank und eigentlich arbeitet nicht. Man würde uns besser erschiessen als so leben lassen.
Schockiert und betroffen ziehen wir weiter. Vor unserem Hotel, dem Contintental, begegnen wir zwei bettlenden Zigeunerkindern:
Wir sind den ganzen Tag vor dem Hotel, spielen und verlangen Geld von den Leuten. Ich schlafe im Bahnhof. Ist es dort nicht kalt - ja es ist kalt aber manchmal gibt es auch etwas wärme. Es hat auch andere Kinder, sie sind älter, schlagen uns und nehmen das Geld weg. Vater ist gestorben und Mutter hatte ihre 5 Kinder verlassen. Wir sind aus Tirgu Mures.
Das ist also die soziale Realität der Roma-Bevölkerung in Rumänien an der Jahreswende 1992/93. Ein grosser Teil der rumänischen Zigeuner lebt im alleruntersten Stockwerk einer Gesellschaft, in der sich Armut auch unter der rumänischen Mehrheitsbevölkerung immer breiter macht.
Der Umsturz in Rumänien hat ihre Lage nicht verbessert, im Gegenteil: Weil viele Zigeuner keine oder nur wenig Qualifikationen für den Arbeitsmarkt mitbringen, gehören sie zu jenen, die als erste entlassen werden.
Was wir hier sehen ist mehr als Armut, es ist systematische Verelendung. Betroffen davon sind schätzungsweise 90% der Roma-Bevölkerung. Wohlhabende Zigeuner sind die Ausnahme.
Allerdings ist hier von einer Gruppe nicht die Rede: auch in Rumänien gibt es nämlich Zigeuner, welche ganz die Lebensart und Kultur der Rumänen übernommen haben. Unter ihnen soll es sogar Diplomaten und Politiker geben.
Lösungsversuche
Kein Staat dürfte sich eine Schicht von verelendeten, unangepassten Staatsbürgern wünschen. Es ist klar, dass Rumänien und - mutatis mutandis - auch die anderen Ländern Osteuropas, einen Weg aus dieser Situation suchen müssen. Die Frage ist nur wie. Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage bin ich - nicht ganz überraschenderweise - auf eine grosse Hilflosigkeit von seiten des Staates gestossen.
Das grosse Problem ist sie zu assimilieren. Zum grössten Teil sind sie assimilierungswillig. es ist schwer mit ihnen umzugehen. Es ist schwer sie zu integrieren. Es gibt immer wieder Konflikte, sie sind gewalttätig. Ich habe noch niemand in Rumänien getroffen der wusste, wohin das hinsteuert.
Immerhin, wird die Existenz des Problems nicht verheimlicht - der rumänische Aussenminister Theodor Melescanu ist hier ganz offen - er vergleicht Rumäniens Zigeuner mit den Schwarzen der Vereinigten Staaten:
Die Zigeuner sind wie die Schwarzen in den USA
Nach dieser Feststellung weiss allerdings auch der Aussenminister nicht mehr viel weiter:
Die grösste Problematik mit den Zigeuner ist, dass sie sich selber organisieren müssen. Der Staat hat es mehrmals versucht, aber er hatte keinen Erfolg. Wir können ihnen diese Aufgabe nicht ablehnen - das wäre immer Politik der Rumänen. Wir brauchen Zigeuner, die organisiert sind und sich mit demokratischen Mitteln für ihr Volk einsetzen. (Aber heute gibt es einige Dutzende Organisationen und einige selbsternannte Könige - die meisten dieser Organisationen sind zudem noch untereinander verfeindet. Aber ich glaube sie beginnen sich jetzt zu organisieren)
Es gibt sie - die Roma-Verbände und es gibt auch engagierte Roma, die für sich für die Situation dieser Minderheit einsetzen. Einer davon ist Vasile Ionescu - seit Rezept: Die Zigeuner müssen zuerst ihre eigene, kulturelle Identität wiederfinden, die während Jahrhunderten systematisch zerstört wurde:
Wir müssen unsere Identität zurückgewinnen, die zerstört wurde während Jahrhunderten.
Vasile Ionescu gibt zu diesem Zweck eine Roma-Zeitung heraus - wichtiges Detail: Ein Teil der Zeitung ist in Roma geschrieben. Pläne und Ideen für weitere Aktivitäten hat er wohl - deren Verwirklichkung scheitert im Moment noch an den finanziellen Mitteln.
Einer der Schlüsselbereiche für die Integration der Roma dürfte die Schule sein - Tatsache ist heute, dass viele Roma-Kinder keine Schule besuchen und dementsprechend die elementaren Kulturtechniken wie lesen und schreiben nicht beherrschen.
Vasile Burtea, selber Roma, arbeitet im Arbeitsministerium und ist leitendes Mitglied einer Dachorganisation der Roma-Organisationen, er kennt die Probleme
Eines der grössten Probleme im Zusammenhang mit der Schule ist das Verhalten der rumänischen Lehrer: Sie schicken die Zigeunerkinder in die letzte Bank, behandeln sie schlecht und es gibt dementsprechend viele Fälle, wo die Kinder dann die Schule wieder aufgeben.
Hier ist man nicht beim Feststellen der Misstände stehen geblieben:
Die Föderation der Roma hat sich eingesetzt und geschaut, dass Roma Kinder zu Lehrern ausgebildet werden, die dann in den Roma-Gemeinschaften eingesetzt werden können. Wir brauchen Lehrer, welche die Problematik der Roma Kinder kennen - am besten natürlich aus eigener Erfahrung. Sie werden die Roma-Kinder dann anders behandeln und gleichzeitig auch besser von ihnen akzeptiert werden.
Es gibt heute Seminarien, wo die ersten Roma-Lehrer ausgebildet werden - eine solche habe ich in Tirgu Mures besucht - die Schüler haben mich dort mit einem Lied begrüsst - mit den ersten drei Strophen der Hymne der Roma.
Besuch an Roma-Schule Tg.Mures
Wir gehen, wir gehen auf Wegen
Und begegnen glücklichen Zigeunern
Roma, woher kommt ihr
Mit Euren hungrigen Kindern
Ich hatte eine grosse Familie
Das Schwarze Gesetz hat sie getötet
Es hat Männer und Frauen erstochen
In ihrer Mitte auch kleine Kinder
Oefne Gott Deine schwarzen Türen
So dass ich sehen kann wo meine Leute sind
Denen ich auf ihren langen Wegen folgen soll
Und ich will mit glücklichen Zigeunern wandern.
Die alleinige Existenz dieser einen Roma Klasse am Lehrerseminar von Tirgu Mures ist ein Hinweis, dass die Situation durchaus nicht hofffnungslos ist. Bis es schliesslich überall Klassen gibt, in denen in Roma-Sprache unterrichtet wird, bis dahin dürfte noch ein langer Weg zurückzulegen sein.
Gerade die Tatsache, dass die Kinder in die Schule gehen, kann für sie wieder neue Probleme schaffen. Der Roma Vertreter Vasile Burtea erklärt:
Jene Kinder, die eine Schule besucht haben, sind eine Last für die Familie geworden - sie wollen nicht mehr Flaschensammeln oder andere einfachen Arbeiten machen. Sie wollen etwas besseres tun. Das findet man aber nicht wegen der Arbeitslosigkeit, also arbeiten sie überhaupt nicht und sind nur eine Last.
Schlussfolgerungen
Ich möchte meine Reportage an diesem Punkt abbrechen und einige abschliessende Gedanken zu formulieren versuchen:
Die Zigeuner leben heute noch am Rande der Gesellschaft - in Rumänien, aber auch anderswo in Osteuropa. Sie tragen das Erbe einer jahrhundertelangen Verachtung. Mit dem Umsturz in den osteuropäischen Ländern ist die Situation für sie zunächst noch schwerer geworden. Der Staat kann oder will Uebergriffe nicht verhindern - kommen sie nun von einer Gruppe von Dorfbewohnern in Rumänien oder von fremdenfeindlichen Skinheads in der CSFR oder in Ungarn. Auch wirtschaftlich zählen die Zigeuner zu den schwächsten und sind dementsprechend am stärksten von der überall herrschenden Wirtschaftskrise betroffen.
Zur Verbesserung ihrer Situation müssen sie letztlich - im Rahmen der neugeschaffenen demokratischen Institutionen, selber beitragen. Dass dies für eine Minderheit, die sich noch nie frei äussern oder organisieren durfte, sehr schwer sein wird, dürfte klar sein.
Dieser Prozess muss auch von aussen unterstützt werden: auf einer politischen Ebene, indem Geberländer der neugeschaffenen Osteuropa-Hilfe die Situation der Roma auf ihre Agenda nehmen. Die Garantie der Menschenrechte sei ein wesentliche Voraussetzung für die Gewährung von Kredit, sagt man etwa in Bern beim Eidg.Dept.für auswärtige Angelegenheiten.
Dieser Prozess sollte auch auf einer praktischen Ebene unterstützt werden. Es reicht m.E.nicht aus, dass Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International, die Minority Rights Group oder die Gesellschaft für Bedrohte Völker ihren Finger auf die wunden Punkte legen. Die Roma brauchen Unterstützung konkreter Art. Sei es in der Ausarbeitung von Alphabetisierungsprogrammen, in der Ausbildung und Finanzierung von Sozialarbeitern, in der Unterstützung kultureller Bemühungen.
Auch karitativen Organisationen kommt eine Rolle zu bei der Linderung des schlimmsten Elends - ihnen gelang beim Elend der rumänischen Kinderheime schon einmal eine Mobilisierung.
Die Roma sind eine europäische, grenzüberschreitendes
Volk. Vielleicht könnten wir gerade von ihnen im Prozess
der europäischen Integration und im Kampf gegen Nationalismen
hüben und drüben Inspiration und Kraft gewinnen.
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